.. und vergesst nicht zum besseren Verständnis, die vorangegangenen Teile zu lesen! Zu finden in der Kategorie
"Renaldos Welt" aufgereiht wie am Schnürchen!
„ Die Weisheit der indigenen Völker ist gekennzeichnet durch ihre intime Vertrautheit mit der Natur und durch die Partizipation an ihren Prozessen. Aufgang und Untergang der Sonne sind Momente, in denen die numinose Quelle mit besonderer Intensität erfahrbar ist. Im Frühjahr bringt die erblühende Welt ihre Blüten hervor. Die Vögel erscheinen in ihrer Farbenpracht und faszinieren durch die Leichtigkeit und Kunstfertigkeit ihres Fluges, durch die Schönheit ihres Gesangs. Dann gibt es die furchteinflößenden Zeiten, in denen der Donner über den Himmel grollt und Blitze über den Himmel zucken.“
(Thomas Berry, „Das Wilde und das Heilige“ 1998 „Kapitel 16 „Die vierfache Weisheit“)
AL00 lag ausgebreitet auf ihrem Bett und beobachtete die bewegungslose Stille in ihrer Wabe, während ihre Gedanken rastlos durch ihre Erinnerung streiften.
Sie spulte alles noch mal ab, was mit dieser vertrackten Geschichte zu tun hatte.
Begonnen hatte es mit dem Seminar „Thomas Berry richtig verstehen für Alle“. Dort hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gehabt unter Gleichgesinnten zu sein. Ökobürger, die das Wesen der Welt ernst nahmen und etwas tun wollten, für die große Gemeinschaft aller Lebewesen und der Elemente. Unter den Seminarteilnehmern war RW00 wohl der auffälligste und auch der kritischste gewesen. Es hatte einige harte Diskussionen gebraucht, in denen sie RW00 anfangs für einen vollen Ökopsycho gehalten hatte, bis sie irgendwann verstand, dass RW00 nicht gegen Thomas Berrys Lehren war, sondern nur gegen die Art und Weise, wie diese, an sich wunderbaren Ideen, all zu oft auf verdrehte, verbissene oder gar völlig falsche Art umgesetzt wurden.
Irgendwann hatte RW00 sie dann gefragt, ob sie bereit wäre, den wahren Geist Thomas Berrys auf völlig neue und wirklich ursprüngliche Weise zu erleben.
So war sie also zu der Gruppe gestoßen. Zuerst war sie auf ein paar der Akustik-Sessions gewesen, die sie damals für die Essenz und den wahren Spirit von Thomas Berry gehalten hatte. Die treibende Musik hatte sie damals so heftig emotional dahin gerafft, dass sie nächtelang nicht schlafen konnte. Es war die bis dahin stärkste Emotion ihres Lebens gewesen. Danach hatte sie dann die gesamte Entwicklung mit gemacht, von Übungsessions mit windigen Batterieverstärkern aus der Vorzeit und dem ersten Konzert direkt gepowered aus der Tretmühle. Die ärmsten dort hatten die doppelte Zeit strampeln müssen um ihr Pensum gerade mal so zu erfüllen.
Jetzt endlich hatten sie die perfekte Stromversorgung und nun verhinderte JW00 mit seiner sinnlosen Sturheit das größte Undergroundkonzert des True T(homas)B(erry) Movements!
AL00 war sich sicher, dass er nicht aufgeben würde. Der nicht! Er spürte offensichtlich, dass irgendetwas nicht stimmte, und, dass sein Bruder RW00 die Finger in irgendeinem schrägen Spiel hatte. Das schien ihn wirklich sehr neugierig zu machen und zum Ausharren zu motivieren. Es sah ganz danach aus, dass er vorhatte wie ein geduldiger Jäger so lange zu warten, bis das Opfer reif war und aus seinem Versteck gekrochen kam – und dann wollte er zu schlagen.
Nun, sie selbst hatte auch ihre Pläne. Warten stand jedenfalls nicht mehr auf ihrer To Do Liste!
Was sie vorhatte war zwar gewagt, aber es lag eine reelle Chance darin.
Am nächsten Tag traf sie sich mit RW00, allerdings nicht in dessen Wabe, wohl wissend dass JW00 im Kontrollraum alles aufmerksam beobachtete, denn ihr unfreiwilliger Helfer, der Energiewächter, hatte bereitwillig Auskunft darüber gegeben, welche Überwachungsfunktionen im Kontrollraum nutzbar waren.
RW00 war zunächst nicht begeistert von der Idee das große Konzert schon am nächsten Tag stattfinden zu lassen. Allerdings war genügend Energie vorhanden, er hätte nur gerne nochmal vorher geprobt. Was ihm auch nicht gefiel, war die Rolle seines Bruders. Er traute ihm tatsächlich zu, das komplette TTB Movement auffliegen zu lassen ohne Rücksicht darauf, dass sein eigener Bruder möglicherweise für immer in den Straflagern an der Oberfläche verschwinden würde. So war das, wenn man blind den Gesetzen vertraute!
AL00 konnte die Befürchtungen RW00s nicht ganz ausräumen, doch sie versprach, sich persönlich um JW00 zu kümmern, wenn sich RW00 nur um das Konzert kümmern würde.
Am nächsten Abend, sie arbeitete nun schon fünf Wochen an ihrem Auftrag, dessen Sinn sie weniger denn je erkennen konnte, verließen alle anwesenden Mitglieder des TTB-Movements fast zeitgleich ihre Waben. Sie gingen schweigend, genau wie verabredet, hinunter in die Katakomben, vorbei am Schaltraum, hinter dessen Tür sich JW00 verbarg. Sie wusste, dass der Jäger jetzt gleich herauskommen würde um sich an die Verfolgung seiner Beute zu machen.
Sie ließ die Tür nicht aus dem Blick. Ein Muskel unter ihrem rechten Auge zuckte rythmisch und ihr war seit Stunden leicht übel. Die Anspannung, gepaart mit äußerster Konzentration war eben auch ein echtes körperliches Gefühl, das nicht einfach zu übergehen war. Doch fühlte sie sich stärker mit dem Geist Thomas Berrys verbunden als jemals zuvor. Die Gewissheit in seinem Geiste zu handeln, gab ihr Sicherheit und Kraft.
Was sie allerdings für einen kleinen Moment verunsichert hatte, war die Anwesenheit eines Elektrogleiters des VBs, der, als sie ihn entdeckt hatte, in einem der Nebenschächte verschwunden war. Nein, das musste Zufall sein, denn, das letzte was sie sich vorstellen konnte war, dass JW00 mit dem, bei allen Energie-Inspektoren verhassten, VB kooperierte.
Auf ihrem Beobachtungsposten neben dem Ausgang zum Fahrradparkplatz konzentrierte sie sich jetzt voll auf die Tür zum Kontrollraum, an der gerade die letzten der Gruppe vorbeizogen.
Währenddessen saß IK01 hinter der getönten Scheibe ihres Elektrogleiters. Sie grinste still vor sich hin, denn alle Beteiligten waren an der richtigen Stelle versammelt. Der Plan würde ablaufen wie geschmiert. In weniger als einer Stunde würde er seine äußerst effektive Wirkung voll entfalten. Sie spürte innerlich die Erregung, die sich gewiss bald in Genugtuung wandeln würde. Sie freute sich schon auf Pressekonferenzen und Interviews, in denen sie die Ökobürgerinnen und Bürger zu noch mehr Sorgfalt auffordern würde im täglichen Umgang mit der Brandlast also all den Dingen, mit denen sich Menschen umgaben.
Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr den Lauf der Dinge zu beeinflussen und bald, sehr bald schon, würde sie die finale Anweisung erteilen.
Wie AL00 es vorhergesagt hatte, öffnete sich die Tür zum Schaltraum, JW00 schlich vorsichtig heraus und folgte der Gruppe. Er hielt, ganz Profi, exakt den richtigen Abstand und auch sie hielt sich an die Regeln und rückte nicht zu nah auf.
Er folgte der Gruppe, hinein in den alten Gang zur Sammelstelle. Doch statt dass er seinen Universal-Dekoder einsetzte und einfach die geheime Drehtür öffnete, nahm er seine Nickelbrille ab, fing an zu putzen, tastete die Wände an der falschen Stelle sorgfältig ab, drehte sich dann weg und ging, wiederum nachdenklich seine Nickelbrille putzend den Gang zurück – und zwar, zum Energieverschwender nochmal, direkt auf sie zu.
Sie legte einen fantastischen Sprint hin zur nächsten Ecke. Die Chancen, dass JW00 sie nicht gesehen hatte, standen überhaupt nicht gut! Sie konnte ja nicht wissen, dass JW00 ohne seine Brille so gut wie blind war. Sie konnte nicht sehen, wie er endlich die Brille wieder aufsetzte und in den stinkenden Gang, der zum Lüftungssystem führte, wechselte.
Sie atmete heftig, teils vor Anstrengung, teils vor Aufregung. Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. Erst als das Geräusch seiner Schritte leiser wurde, wagte sie es um die Ecke zu blicken.
Verdammt, was machte der blöde Energieverschwender im Lüftungsgang? Ihr war klar JW00 hatte den Durchgang nicht entdeckt.
Hatte er denn nicht gesehen, wie die gesamte Gruppe durch die Drehtür gegangen war? Der große Super-Ernegieinspektor JW00 war einfach zu dusslig – es war nicht zu fassen! Wenn er nicht bald zurück käme, würde sich ihr schöner Plan in Nichts auflösen.
Sie wartete, denn sie wagte es nicht, ihm in den Lüftungsgang zu folgen. Und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich wieder auftauchte. Er schlich fast auf Zehenspitzen und schien auf irgendetwas zu lauschen. Na klar, jetzt hörte sie es auch, die Band hatte angefangen zu spielen.
Als er wieder an der Wand zur alten Sammelstelle angekommen war, tastete er mit beiden Händen die glatte Fläche diesmal gründlich ab, nickte als er diee Drehtür entdeckte und zog seinen Zauber-Dekoder. Dann verschwand er in der Wand.
Na also, dachte sie, es geht doch!
To be continued…