Der Paranoiker hat ‚Fernweh‘, oder nennen wir es besser ‚Stadtweh‘ – noch keine zwei Stunden von Dienstreise aus Berlin zurück, sehnt er sich schon retour… unglaublich, diese Stadt! 5 Minuten in Berlin, und er wird schon nach dem Weg gefragt (und kann weiterhelfen!); 20 Minuten in Berlin, und schon geht er prinzipiell bei Rot über die Ampel; 30 Minuten in der Stadt, und schon fängt er an zu Berlinern, wah… dett iss so…
Eine Stadt, in der er erst zum fünften Mal war, in der er sich aber gleich wieder zu Hause und sauwohl fühlte…
Berlin: unglaublich laut, größer und dreckiger als in der Erinnerung, allerdings sieht man zumindest in Berlin Mitte deutlich weniger Hunde, weswegen die Wege auch weniger penibel zugekotet sind als früher und das Schlendern mit erhobenem Haupt nicht sofort bestraft wird – und es stinkt… aus den U-Bahn-Abluftschächten, der Kanalisation, aus Hauseingängen abbruchreifer Häuser… aber es stört nicht! Nee, nicht doch!
Eben noch konnte der Paranoiker den strahlend blauen Himmel durch die Oberlichter des Konferenzraumes bewundern, schon bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich von dem gemeinsamen Kongressabendessen in die spätsommerliche laue Nacht abzusetzen und sich treiben zu lassen… durch die Oranienburger (die Mädels sind fleissig am arbeiten), entlang der Friedrichstrasse (kaum zu glauben, daß der Paranoiker hier vor 22 Jahren noch der Durchsuchung vor Betreten und vor Verlassen der antifaschistischen, sozialistischen deutschen demokratischen usw. harrte…) und Unter den Linden zum Brandenburger Tor (wo hunderte von betrunkenen Jugendlichen (auf Klassenfahrt?) Party feiern), zum Holocaust-Mahnmal (wohltuend ruhig, ergreifend die Stimmung, toll, inmitten des Stelenwaldes auf einem der Betonquader zu sitzen und den Blick schweifen zu lassen – gab es die wirklich, die idiotische Diskussion um dieses Denkmal?), entlang der Mauerlinie zum Reichstag ( ein Radfahrer fährt, den Mittelfinger erhoben, durch die Nacht und brüllt ohne Unterlass ‚fuck the police!‘, von betrunkenen Jugendlichen frenetisch beklatscht – die so Angesprochenen blicken nicht mal auf – undenkbar in des Paranoikers Wahlheimat…), an den Spreebogen (protzig grüßen der Kanzlerin Amt und das Abgeordnetenhaus – aus dieser Perspektive läuft dem Paranoiker eher ein unangenehmer Schauer über den Rücken…; vielleicht liegt es auch an der propangandistisch wirkenden Videoprojektion, die an eine dem Ufer gegenüberliegende Wand geworfen wird: Abstimmung zum Umzug nach Berlin, Umbau des Reichstages – laut weht die Hymne über den Fluß, während geschichtsträchtige Photos die Nacht erhellen – ‚Alles Lügen!‘ brüllen ein paar Punks, die Bierflaschen in der Hand – das ist Basisdemokratie…)… Schlendern macht durstig, also einen Platz am Fluß ertrotzen. Jetzt ein Pils…’Hamm wer nich, wir hamm nur Kölsch!‘ Hä, bitte watt? Na, dann halt ein Kölsch… äh, nee, mach gleich mal zwei (sonst droht Tod durch Verdursten)… Die Irritation währt nicht lange… was muß sich der Paranoiker auch in die ‚Ständige Vertretung‘ setzten… na, immer noch besser als in der ‚Berliner Republik‘, wo es eine Berliner Weiße geworden wäre…
Ah, Berlin…
… eine kleine Fernwehkrise auf Dich!
… und wenn der Paranoiker nicht viel zu viel Angst um ihn hätte, dann würde er dir glatt einen Koffer anvertrauen!
Ein Gedanke zu „Die vierzehnte Antikrise, oder: Ick steh auf Berlin!“
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