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Die siebte Antikrise, oder: deutsche Gründlichkeit

Der Paranoiker trägt seinen Namen auch im Urlaub nicht zu unrecht. So beliebt er all die insbesondere für einen Auslandsaufenthalt wichtigen Dokumente wie Reisepass, Personalausweis und Führerschein, die er sonst in seinem gewohnten Biotop eingedenkt seiner geradezu legendären Schusseligkeit gerne zu Hause oder wo auch immer vergessend lässt, in einen Bauchgurt zu packen und unter seinem Hemd zu verstecken. So war das auch vor nunmehr fast zwei Jahren kurz nach der Ankunft in Sardinien. Im Auto wurde es schnell ziemlich warm, der Gurt zwickte und drückte, und so öffnete der Paranoiker den Verschluß, um sich kurzfristig etwas Erleichterung zu verschaffen. Wie das Schicksal (oder die eigene Blödheit) nun so spielt, war der Weg zur Unterkunft alles andere als gut beschildert, und nach einigen Hin-und-her-Verirrungen entschloß sich der Paranoiker, in einem Straßencafé nach dem Weg zu fragen, ohne dabei natürlich an den Gurt zu denken, und so verwundert es denn kaum, daß jener Bauchgurt sich nicht mehr an dem namensgebenden Körperteil des Paranoikers befand, als selbiger im Hotel seinen Ausweis benötigte. Auch die darauf folgende Suche rund um das Café (der Besitzerin des Hotels sei an dieser Stelle ein dickes Lob erteilt, begleitete sie doch mit ihrer hilfreichen Art nicht nur jenen Tag, sondern gleichsam virtuell den gesamten restlichen Urlaub, was ihr denn auch zu dem Spitznamen ‚Santa Renata‘ verhalf – aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte) förderte nichts zu Tage außer Gegenden, in die sich wohl noch nie zuvor ein Tourist verirrt hatte.

Nun ist es kaum die Art des Paranoikers, mit eigener Blödheit zu kokettieren zu wollen, weshalb er wohlweislich auch jene Episode gerne weiter verschwiegen hätte, wenn, ja wenn er nicht dieser Tage in seinem Briefkasten eine etwa zwei mal drei Zentimeter große Visitenkarte gefunden hätte, auf deren Vorderseite nebst Polizeilogo Name, Dienstgrad und Diensstelle eines Beamten prangten, und auf deren Rückseite die handschriftliche Bitte um Rückruf in Sachen des 2009 verlustig gegangen Personalausweises vermerkt war. Der Paranoiker rief natürlich neugierigerweise an und vermutete schon, seine Papiere seien vielleicht wieder aufgetaucht. Aber nein, vielmehr müsse ein Protokoll aufgenommen werden, damit der Personalausweis, man höre und staune, staatsanwaltschaftlich angeordnet zur bundesweiten Fahndung ausgeschrieben werden könne…

Krise!!! Nach fast zwei Jahren!!! Was soll das? Besteht derzeit eine erhöhte Angst, vielleicht sogar dahingehend, daß beispielsweise der Ausweis in die Hand von, sagen wir mal Gaddafi gelangt sein könnte und dieser nun versucht, mit des Paranoikers Ausweis nach Deutschland einzureisen, oder wie, oder was?????

Der Polizeibeamte erwies sich jedenfalls als sehr humorig – die Gemeinde habe den Diebstahl der Papiere erst letzte Woche gemeldet (sic!), aber eigentlich sei es ja auch kein Diebstahl, sondern eine ‚Fundunterschlagung‘ (oh, du geliebtes Amtsdeutsch!), und ob der Paranoiker denn zur ‚Zeugenbefragung‘ mit dem Ziel einer Protokollerstellung vorbeikommen könne – der Paranoiker bemerkte noch scherzhaft, daß seine wegen Terminabsprache herausgegeben Mobilnummer nun ja wohl aktenkundig sei, was besagter humoriger Beamter mit den Worten konterte, es sei nicht zu befürchten, daß der Paranoiker nun mit Werbeanrufen seitens der Polizei überhäuft würde. Der Paranoiker ist noch immer nicht gänzlich überzeugt; prangten nicht noch vor einigen Jahren Parolen auf den Einsatzwagen, die irgendetwas mit ‚Alkohol und Drogen‘ enthielten – nicht, daß ihm da noch telephonische Angebote gemacht werden…

Die Protokollierung dauerte dann etwas mehr als eine halbe Stunde und war durchaus amüsant und klischeehaft stilvoll. Der Paranoiker versuchte kurz zu überschlagen, wieviele Personen wohl wie lang durch diesen Vorgang absorbiert seien (irgendjemand muß das Protokoll noch von Band abtippen, die Formblätter wollen noch gefüllt sein, ein Staatsanwalt muß noch den Stempel auf seine frisch gesetzte Unterschrift drücken, etc.), gab diesen Versuch aber schnell auf, weil er sonst wohl anfangen müsste, zwar nicht an der Gründlichkeit, wohl aber an der Sinnhaftigkeit des deutschen Bürokratismus zu (ver)zweifeln…

Aber: der Paranoiker freute sich, in dem Getriebe einen netten und witzigen Polizeibeamten kennen gelernt zu haben! Daher: eine Antikrise!